Chemische Bekämpfungsstrategie gegen die Schilf-Glasflügelzikade als Bakterienvektor in Zuckerrüben und Kartoffel
Zikaden spielen als Überträger von Krankheiten wie dem Syndrome Basses Richesses (SBR) oder Stolbur eine zunehmend problematische Rolle im Zuckerrübenanbau. Diese Krankheiten führen zu erheblichen Ertragseinbußen und einer deutlichen Minderung des Zuckergehalts. In der Kartoffel kann es u.a. zu erhöhten Zuckergehalten und damit zu einer schlechteren, bis hin zu einer nicht möglichen Verwertung führen. Da bundesweit nur begrenzte Notfallzulassungen für Insektizide bestehen, ist ein gezielter und verantwortungsvoller Einsatz entscheidend. Die Grundlage dafür bildet eine regionale Einstufung der Befallssituation. Rheinland-Pfalz wurde hierfür in drei Befallsregionen eingeteilt: Hotspot Regionen, Übergangsregionen und Grenzregionen (siehe Karte). Falls sich beim landesweiten Monitoring deutliche Veränderungen des Auftretens bemerkbar machen, werden wir darüber informieren.
Insektizideinsatz erst nach Warndienstaufruf!
Der richtige Zeitpunkt für die Anwendung der Insektizide richtet sich nicht nach dem Kalender, sondern basiert auf mehreren Faktoren. Maßgeblich sind hier die jeweilige Temperatursumme, die Ergebnisse des landesweiten Monitorings, sowie Bestandeskontrollen der amtlichen Schaderregerüberwachung.
Die Freigabe zur Behandlung erfolgt ausschließlich über den Warndienst des Pflanzenschutzdienstes Rheinland-Pfalz für jede einzelne Maßnahme. Sie finden die Informationen auch online unter isip.de.
Eine Mischung aus zwei Insektiziden entspricht immer einer Einstufung in B1 (NB6611). Auch bei Mischungen von bestimmten Insektiziden mit Fungiziden, wie z.B. aus der Gruppe der Ergosterol-Biosynthese-Hemmer (Azole) kann sich die Bienengefährlichkeit verändern. So darf z.B. Mospilan SG nicht in Mischung angewendet werden, wenn blühende Pflanzen mitgetroffen werden. (NB6612: Das Mittel darf an blühenden Pflanzen und an Pflanzen, die von Bienen beflogen werden, nicht in Mischung mit Fungiziden aus der Gruppe der Ergosterol-Biosynthese-Hemmer angewendet werden. Mischungen des Mittels mit Ergosterol-Biosynthese-Hemmern müssen so angewendet werden, dass blühende Pflanzen nicht mitgetroffen werden.) Die Bienenschutzverordnung vom 22. Juli 1992, BGBl. I S. 1410, ist zu beachten.
Das bedeutet: Sie dürfen nicht in Beständen ausgebracht werden, in denen blühende Unkräuter stehen. Vorhandene blühende Unkräuter sind vorher zu beseitigen. Werden in der näheren Umgebung Bienen gehalten, ist es sinnvoll, frühzeitig vor geplanten Spritzmaßnahmen Kontakt mit Imkerinnen und Imkern aufzunehmen und zu informieren.
Die ADD wird Kontrollen zur Einhaltung der Anwendungsbestimmungen durchführen.
Wichtig: Bitte beachten Sie neben den hier beschriebenen Auflagen alle produktspezifischen und gesetzlichen Vorgaben, Wartezeiten und Anwendungsbeschränkungen der eingesetzten Mittel, insbesondere bei drainierten Flächen und Grundwasserschutzauflagen!
Im Rahmen der Notfallzulassung dürfen in Kartoffeln und Zuckerrüben bestimmte Insektizide eingesetzt werden, die sich in drei Wirkstoffgruppen unterteilen lassen: Die Schilfglasflügelzikade ist im Vergleich zur Blattlaus kein Phloem Sauger (Zucker), sondern ein Parenchymsauger (saugt Zellen leer). Das hat den Effekt, dass die systemische und translaminare Wirkung der Insektizide zwar vorhanden ist, jedoch von einer geringen Dauerwirkung ausgegangen werden kann. Deswegen sollten schon bei der Applikation maximale Wirkungsgrade angestrebt werden. Um die relativ geringen Luftfeuchtebedingungen und die direkte Benetzung zu erhöhen, sollte mit mindestens 300 l Wasser gefahren werden. Applikationen am Abend, in den späten Abendstunden oder früh morgens erhöhen durch die oft besseren Spritzbedingungen die Wirkung. Mit Doppelflachstrahldüsen kann die Wirkung noch einmal verbessert werden. Pyrethroide sollten bei Temperaturen über 22°C nicht angewendet werden.
Auflagen der einzelnen Produkte sind unbedingt zu beachten!
Systemischer Wirkstoff (Acetamiprid):
Produkte: Carnadine 200, Danjiri und Mospilan SG
Besonderheiten bei Carnadine 200:
Anders als Danjiri und Mospilan SG ist Carnadine 200 als Soloanwendung in die B2-Kategorie (bienengefährlich) eingestuft.
Es trägt die Auflage NG373.1010: Eine Anwendung ist nur zulässig, wenn auf der betreffenden Fläche in den zwei vorangegangenen Jahren kein Acetamiprid verwendet wurde.
In Zuckerrüben gilt eine Drainauflage, daher ist der Einsatz auf drainierten Flächen nicht erlaubt (gilt nur für Carnadine 200).
Systemischer Wirkstoff (Flupyradifurone):
Produkt: Sivanto prime
Kontaktwirkstoffe (Pyrethroide):
Produkte: Decis forte, Kaiso Sorbie, Karate Zeon und Sumicidin Alpha EC
Hinweis: Sumicidin Alpha EC ist nur in Kartoffeln zugelassen.
Bei den Pyrethroiden sind unterschiedliche Gewässerabstände einzuhalten, was bei der Anwendung unbedingt zu beachten ist.
Hotspot Regionen:
Hot-Spot-Regionen sind Gebiete mit intensivem Anbau verschiedener Wirtskulturen, in denen über 50 % der Pflanzen auffällige SBR- oder Stolbur-Symptome zeigen. Typisch sind hohe Fangzahlen adulter Zikaden, sowie viele Pflanzen mit Nymphenbesatz. Es kommt zu erheblichen Ertragsverlusten und Qualitätsminderungen. Die Erreger lassen sich sowohl in adulten Zikaden als auch in den Kulturen nachweisen. Besonders kritisch ist der hohe Anteil an Doppelinfektionen mit ARSEPH und PHYSO, die zu schweren Krankheitsverläufen führen. In solchen Fällen ist der Insektizideinsatz nach regionalem Warndienstaufruf durch den Pflanzenschutzdienst Rheinland-Pfalz geboten.
Empfohlene Bekämpfungsstrategie in Hotspot-Regionen (Angaben in l/ha oder kg/ha), jede Maßnahme orientiert sich am amtlichen Monitoring und wird einzeln bewarnt:
Zuckerrübe | Kartoffel |
|
|
*Beachte: Carnadine darf nicht auf Flächen angewendet werden, auf denen in den letzten zwei Kalenderjahren bereits Acetamiprid-haltige Mittel eingesetzt wurden.
Pflanzkartoffeln unterliegen einer gesonderten Betrachtung und sollten wie im Hotspotgebiet behandelt werden.
Besonderer Hinweis: Auf drainierten Böden ist diese Strategie nicht anwendbar, da dort z. B. Sivanto Prime und Carnadine nicht verwendet werden dürfen. In solchen Fällen ist auf die Bekämpfungsstrategie der Übergangsregionen zurückzugreifen.
Strategie für drainierte Flächen:
- Erste Maßnahme: 0,25 kg/ha Danjiri + 0,075 l/ha Karate Zeon
- Zweite Maßnahme (10-12 Tage später): 0,25 kg/ha Mospilan SG + 0,075 l/ha Karate Zeon
- Dritte Behandlung (10-12 Tage später): 0,25 kg/ha Danjiri/Mospilan SG
Übergangsregionen:
Übergangsregionen sind Gebiete mit einem Befallsanteil von 10–50 %, in denen Pflanzen mit deutlichen SBR- oder Stolbur-Symptomen auftreten. Vereinzelte Pflanzen mit Nymphenbesatz wurden festgestellt. Die bisherigen Schäden (Ertrag, Qualität, BZE) sind gering. Die Erreger konnten bereits in adulten Zikaden und in den Kulturen nachgewiesen werden.
Abhängig von der Befallsentwicklung und den Monitoringergebnissen kann nach Warndienstaufruf gezielt behandelt werden.
Im Vordergrund stehen auch hier weiterhin die pflanzenbaulichen Maßnahmen, wie etwa eine angepasste Fruchtfolge oder Anbaupausen. Ziel ist, Schäden zu vermeiden, die Zikadenpopulation (vor allem im Larvenstadium) einzudämmen und die Entwicklung neuer Hotspot-Regionen zu vermeiden.
Strategie bei erhöhtem Risiko (Mengen in l/ha oder kg/ha):
- Erste Maßnahme:
0,25 kg/ha Danjiri + 0,075 l/ha Karate Zeon
(bei Bedarf zusätzlich 140 g/ha Teppeki gegen Blattläuse) - Zweite Maßnahme (10–14 Tage später):
0,25 kg/ha Mospilan SG + 0,075 l/ha Karate Zeon
Strategie für drainierte Flächen:
Erste Maßnahme: 0,25 kg/ha Danjiri + 0,075 l/ha Karate Zeon
Zweite Maßnahme (10-12 Tage später): 0,25 kg/ha Mospilan SG + 0,075 l/ha Karate Zeon
Grenzregionen:
Hier treten Zikaden bisher nur vereinzelt auf. Der Befall liegt bisher unter 10 % und Nymphen wurden kaum nachgewiesen. Bisher sind weder Ertrags- noch Qualitätsverluste dokumentiert, aber in einzelnen symptomatischen Pflanzen konnten Erreger gefunden werden. In diesen Regionen wird klar auf pflanzenbauliche Vorbeugung gesetzt. Ein Insektizideinsatz wird nicht empfohlen. Ziel ist es, durch Maßnahmen wie eine angepasste Fruchtfolge die Vermehrung der Zikaden zu unterbrechen und damit die Ausbreitung einzudämmen.
Zuflug, Fänge und Behandlungsempfehlung:
Nach den aktuellen Zahlen der Kalenderwoche 20 hat in Rheinland-Pfalz der Zuflug der Schilfglasflügelzikade begonnen. Es wurden jedoch bislang nur einzelne Tiere nachgewiesen, sodass derzeit noch keine Notwendigkeit für überstürzte Maßnahmen oder Panik besteht.
Grundsätzlich liegen wir, sowohl bezogen auf die Temperatursumme als auch auf die Fangzahlen, in den südlichen Pflanzregionen etwa 7–10 Tage hinter der Entwicklung in Baden-Württemberg zurück. Die genauen Fangzahlen können sie auf ISIP nachschauen. Fangzahlen unter 5 sollten nicht überbewertet werden. Betrachtet man die Witterungslage, ist bis zum erwarteten Temperaturanstieg ab Mitte nächster Woche (ab dem 29./30. Mai) von einer eher verhaltenen Zikadenentwicklung auszugehen. Eine erste Behandlung sollte daher frühestens ab dem 30. Mai in den bekannten Hotspot-Regionen (siehe Karte) erfolgen. Dieser Termin stellt sowohl aus Sicht der Wetterentwicklung (Temperatur, Niederschläge und Windstärke), als auch hinsichtlich des bisherigen Zikadenauftretens und dem Zikaden-Modell, den optimalen Zeitpunkt dar. Bitte nutzen Sie die Zeit bis dahin zur Beschaffung geeigneter Mittel. Die Behandlungsempfehlung gilt gleichermaßen für Zuckerrüben und Kartoffel.
Vergleichstabelle Gebietskulisse:
Merkmal | Hot-Spot-Regionen | Übergangsregionen | Grenzregionen |
Befallsanteil | > 50 % der Pflanzen betroffen | 10–50 % der Pflanzen betroffen | < 1 % bis max. 10 % der Pflanzen betroffen |
Symptome | Deutliche SBR-/Stolbur-Symptome bei vielen Pflanzen | Auffällige Symptome beobachtet | Einzelne Pflanzen mit Symptomen |
Nymphenbesatz | Viele Pflanzen mit Nymphen | Vereinzelter Nymphenbesatz | Kaum oder keine Pflanzen mit Nymphenbesatz |
Zikadenfangzahlen (adultE) | Sehr hoch (> 150/Zikadenfalle/Jahr) | Gering bis mittel | Gering |
Ertrags-/Qualitätsverluste | Hoch | Bisher gering | Keine oder sehr gering |
Erregernachweis | In adulten Zikaden und Pflanzen | In adulten Zikaden und Kulturen | In symptomatischen Pflanzen nachweisbar |
Doppelinfektionen (ARSEPH + PHYSO) | Häufig | Möglich, aber seltener | Selten bis keine Nachweise |